Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Mt 26,41

Die beiden sind ein untrennbares Paar: Wachen und Beten. Das scheint eine Binsenwahrheit
zu sein. Denn im Schlaf kann ein Mensch zwar mancherlei Dinge tun. Träumen zum Beispiel. Oder
auch schnarchen. Im Schlaf beten aber kann niemand. Um beten zu können, muss man wach sein.

Um beten zu können, muss man aber nicht nur in einem äußerlichen Sinne wach sein. Zum Beten
gehört immer auch ein hellwacher Geist. Und das nicht nur, um unser schwaches Fleisch dabei zu
stören, es sich in seiner Trägheit gemütlich zu machen. Zum Beten gehört vor allem darum ein hellwacher Geist, weil das Gebet ein Vertrauensakt ist. Im Gebet geht ein Mensch bittend, dankend und klagend aus sich heraus und tritt mit allem, was er hat und ist, vor seinen Vater im Himmel. Solch ein Vertrauensakt aber verträgt sich nicht mit einem verschlafenen Geist. Das kann man sich an der Bitte, am Dank und an der Klage leicht klarmachen. Wer Gott im Gebet um etwas bittet, der muss konkret benennen, was er begehrt. „Wer da bitten will, der muss etwas bringen, vortragen und nennen, was er begehrt; wo nicht, so kann es kein Gebet heißen“, schreibt Luther in seiner Auslegung des Vaterunsers im Großen Katechismus. Recht hat er. Die Bitte wäre ohne Konkretion ziel- und damit sinnlos. Um aber konkret etwas für sich von Gott erbitten zu können, muss man wach sein. Und das gilt erst recht für die Fürbitte. Um etwas
für andere erbitten zu können, muss man hellwach sein. Da darf man im Gebet zwar äußerlich die
Augen schließen, aber ansonsten heißt es: Augen auf für das, woran Menschen leiden und was
zum Himmel schreit!

Das Gleiche gilt für den Dank und für die Klage. Wer immer nur für „alles“ dankt, der muss sich fragen, ob er damit nicht am Ende für gar nichts dankt, sondern auf dem besten Wege ist zu plappern. Und wer immer nur über die Not im Allgemeinen klagt, muss aufpassen, dass seine Klage nicht zur schläfrigen Formel verkommt.

Nein, es ist kein Zufall, dass Jesus das Wachen und Beten in einem Atemzug nennt. Es ist aber auch kein Zufall, dass im Zusammenhang mit dem wachsamen Gebet das Wort von der Anfechtung oder Versuchung fällt. Es gehört exakt hierher. Versuchung im biblischen Sinne
– nicht im Sinne der Schokoladenwerbung – entsteht immer dort, wo Gottes Wort von anderen
Stimmen und Worten überdeckt und verdrängt wird. Von den Stimmen der Resignation und
der scheußlichen Wirklichkeit zum Beispiel, aber auch von den Stimmen der Selbstherrlichkeit
und der Selbstsucht: “Sollte Gott gesagt haben?“ Gegen solches Stimmengewirr hilft das fleißige,
wache Gebet. Betend geht man aus sich selbst heraus. Betend tritt man in die Gegenwart Gottes. Betend macht man die Erfahrung, dass das Stimmengewirr verstummt, wenn Gott selbst
zu Wort kommt.

Volker Spangenberg
www.theologisches-seminar-elstal.de